„Das Ziel heißt, wieder ruhig und sicher zu fahren, Kontrollverlust durch übermäßige Angst und Nervosität zu vermeiden“
Der Berliner Manager Paul Dorn vom Mobilitäts-Start-Up VEHICULUM interviewt Angsthasenfahrlehrer Frank Müller zum Thema Fahrangst
Am 28.05.2020 17:20 schrieb Paul Dorn <p.dorn@vehiculum.de>:
„Sehr geehrter Herr Müller,
mein Name ist Paul Dorn und ich arbeite als Content Manager für das Unternehmensmagazin des Berliner Mobilitäts-Start-Ups VEHICULUM mobility solutions GmbH. Momentan recherchiere ich für einen Artikel zum Thema “Angst vor dem Autofahren”. Der Artikel soll das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und Symptome, Ursachen sowie insbesondere Lösungsvorschläge anbieten.
Bei meinen Recherchen bin ich wiederholt auf Sie und Ihre Angsthasenfahrschule in Berlin gestoßen. Gerne würde ich Sie zum Thema und zu Ihrer Arbeit interviewen und Sie als Experten erwähnen und zitieren. Dafür habe ich einige Fragen erarbeitet, über deren Beantwortung ich mich sehr freuen würde.“
Anmerkung Frank Müller: Paul Dorn ist Manager bei einer Leasing-Firma. Leasing, also festes Mieten von Pkw über einen längeren Zeitraum hinweg, ist nicht gerade das Ding von Angsthäsinnen. Sie mögen lieber carsharing, begrenzte Miete für eine Fahrt von A nach B. Denoch finde ich es lobenswert, dem Leserkreis der Firmenzeitung die Welt aus Sicht der Angsthäsinnen zu zeigen. Und damit mehr Verständnis für die Probleme der Betroffenen zu wecken.
Paul Dorn
Frank Müller
1. Wie kamen Sie zu der Idee, Fahrstunden und Sprechstunden speziell für Menschen mit Angst vor dem Autofahren anzubieten?
Was macht ein Prüfling bei einem Blackout?
Als Jungfahrlehrer hatte ich immer wieder mit ängstlichen Prüflingen zu tun. Sie waren nervös in der Fahrprüfung, konnten das Gelernte nicht umsetzen. Gerade die Nervösen lernten oft lange und verbissen, vielleicht in der Hoffnung, damit die Nervosität zu kompensieren. Dieser Weg war nicht schlecht, aber aber auch nicht zielführend. Letztlich erwies er sich als Sackgasse.
[Fortsetzung des Interviews Paul Dorn – Frank Müller]
Manchmal kam es in der Prüfung sogar zum Blackout. Dann war das Gelernte weg, statt des Parkvorgangs war im Kopf nur noch Leere, Verzweiflung breitete sich aus, erzwingen ließ es sich auch nicht. Ich grübelte darüber nach, die Prüflinge taten mir leid. Meine Kollegen konnten mit leider nicht helfen. Schließlich traf ich auf einen interessierten Therapeuten, der mich unterstützte. Heute sehe ich viele Möglichkeiten, einen Blackout zu bewältigen. Man muss allerdings vorher den Blackout-Fall üben: Auf keinen Fall den Parkvorgang fortsetzen, daraus wird vorläufig nichts. Sondern raus aus der Situation! Erst einmal ruhig atmen, den eigenen Zustand laut ansprechen, eine Entspannungsübung ankündigen: Die Handbremse ziehen, den Motor ausschalten. Aussteigen, weiter ruhig atmen, sich ein bisschen umschauen, einmal rund ums Auto gehen. Und plötzlich kommt die Erinnerung wieder. Wie gesagt, ganz wichtig, man muss den Vorgang schon in der Ausbildung üben, denn es erfordert Mut, die Schwäche zuzugeben und erst einmal die Entspannungsübung einzuschieben.
Später sprach sich die Sache herum. Ich hatte immer mehr zu tun. Es erschienen auch sogenannte Angsthäsinnen, mit Führerschein, die ebenfalls von mir betreut werden wollten. Später habe ich dann zusammen mit dem interssierten Therapeuten einen Ratgeber zur Bewältigung der Fahrangst geschrieben (F. Müller, H.J. Ruhr: Keine Angst mehr hinterm Steuer) und meine Angsthasenfahrschule gegründet.
2. Sie bieten alle zwei Monate die Angsthasensprechstunde in der Fahrschule Glowalla in Berlin an. Wie viele Menschen kommen im Schnitt zu diesen Treffen? Haben Sie das Gefühl, dass sich das Problem der Fahrangst in den letzten Jahren vermehrt hat oder ist es eher zurückgegangen?
Beim Angsthasentreffen können sich alle aussprechen
Das Angsthasentreffen ist keine Unterrichts- oder Theoriestunde. Es ist eigentlich auch keine Sprechstunde. Wir sind ja zu mehreren. Wir bilden einen Stuhlkreis, ohne Tische zwischen uns, es sollte keine Lernatmosphäre aufkommen. Jede der Anwesenden kann sich hier unter Gleichgesinnten geschützt und aufgehoben fühlen. Alle erzählen ihre Geschichte, sprechen sich aus, fühlen sich von den anderen angenommen. Das ist der Sinn dieser Treffen. Die Betroffenen werden von Ihrem sozialen Umfeld leider nicht verstanden, mit Ungeduld behandelt. Da heißt es dann schon mal: „Setz Dich doch einfach ins Auto, bleib locker und gib Gas. Du wirst sehen, dann verschwindet Deine Angst!“ Nach solchen, nicht gerade einfühlsamen Bemerkungen ziehen sich die Betroffenen völlig zurück, verheimlichen ihr Leiden.
Frauen sind weit in der Mehrzahl
Die Teilnehmerzahlen bei diesen Treffen schwanken, von 6 bis 12. Zu über 80 % sind es Frauen. Das Problem Fahrangst ist noch nicht erforscht, auch nicht zahlenmäßig. Ich vermute, es ist sehr groß, betrifft eine bedeutende Minderheit der weiblichen Bevölkerung mit Führerschein.
3. Ist die Angst vor dem Autofahren Ihrer Erfahrung nach meist an ein konkretes Ereignis geknüpft (z.B. Unfall)? Oder kann sie auch von Anfang an bestehen und sich ohne ein konkretes auslösendes Ereignis entwickeln?
Schon das Familienklima kann ängstlich sein
Ich frage alle Neulinge und höre auch beim Angsthasentreffen die Geschichten. Danach besteht bei vielen die Angst, oder besser eine ängstliche Neigung, schon weit vor dem Führerschein. Vielleicht ist diese ängstliche Neigung sogar angeboren? Allerdings habe ich den Verdacht, dass die Ängstlichkeit auch zum Familienklima gehört. Dann sind Gefahren und Risiken im weiteren Umfeld der Familie Dauerthema. Bis zum Führerschein fühlen sich die Betroffenen noch gut beschützt, denn da ist immer noch der Fahrlehrer an ihrer Seite. Erst beim Alleinfahren im Verkehr verschärfen sich die Angstgedanken und die Probleme. Die Betroffenen sehen überall Risiken und Gefahren, versuchen sich in einer Mischung aus angestrengter Beachtung der StVO und hektischer Anpassung an den allgemeinen Fahrstil. Kleinste Fehler werden schwer genommen, lösen tagelange Grübeleien und reuevolle Selbstkritik aus. Ob nun ein kleiner Unfall dazu kommt oder auch nur ein beinahe belangloses Ereignis – ein Hupen beispielsweise oder tadelnder Hinweis des Partners –, all das ist dann nur die Spitze des Eisbergs und mündet in dem Entschluss, ab jetzt nicht mehr Auto zu fahren. Denn weiteres Fahren würde irgendwann, so die Furcht, in einem schweren Unfall enden, mit Verletzten oder gar Toten. Die Vermeidung des Autofahrens wird dann konsequent betrieben, oft jahrelang. Es ist eine Mischung von je nachdem übertriebener Angst, aber auch großem Verantwortungsgefühl.
Das Ziel der Kurse
Unter diesen Voraussetzungen kann das Ziel der Kurse nicht sein, völlig angstfrei zu fahren. Das akzeptieren die Betroffenen sofort. Das Ziel ist vielmehr, mit der Angst besser umzugehen, so dass sie auch nicht mehr Angst macht. Das Ziel heißt, Kontrollverlust durch übermäßige Angst und Nervosität zu vermeiden, ruhig und sicher zu fahren, wieder Selbstbewusstsein aufzubauen, im Alltag nicht über Fahrfehler oder überhaupt über das Autofahren nachzugrübeln,
4. Wie ist der Anteil an Frauen und Männern in der Sprechstunde? Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Falls ja, welche Gründe könnte dies haben?
Über 80% Frauen
Es überwiegt eindeutig der Anteil der Frauen. Nach langer, eigener Zählung sind es über 80 % aller Betroffenen, die meine Angsthasenfahrschule aufgesucht haben. Gründe für den hohen Frauenanteil gibt es einige, ich zähle anschließend ein paar auf. Ich stelle übrigens beim Angsthasentreffen selbst dies Frage, warum ihrer Ansicht nach der Frauenanteil so groß ist? Dann geht es oft hoch her.
Hier einige wichtige Gründe: Warum ist der Frauenanteil so hoch?
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Männer werden schon als Kinder oder Jugendliche auf das Spielen mit Fahrzeugen sozialisiert. Das Spielen mit Puppen ist nicht so ihr Ding.
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Männer haben genauso Angst im Verkehr, sie trauen sich nur nicht, die Angst zuzugeben (diese These äußern vor allem „meine“ Angsthäsinnen).
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Frauen übernehmen in unserer Gesellschaft immer noch vorwiegend die Aufzucht und Erziehung der Kinder und Fürsorge für die Älteren. Sie denken daher verantwortlicher, sehen die Gefahren im Verkehr größer. Sie haben die Angst: „Hoffentlich schade ich anderen nicht.“ Männer verhalten sich risikoreicher. Sie argumentieren oder denken anders: „Egal, was passiert, ich möchte nicht schuld sein.“
Zur zweiten These kann ich aus meiner Erfahrung sagen: Wenn sich mal ein Mann meldet zur Teilnahme am Angsthasentreffen, fragt er mich ziemlich sicher, ob viele Frauen da sind. Sage ich wahrheitsgemäß „ja“, kann ich sicher sein, dass er nicht kommt. Die wenigen Männer, die kommen, können sich nicht beklagen, sie werden sehr nett behandelt. Ich merke aber deutlich, dass ihnen die ganze Atmosphäre nicht passt.
Ich selbst neige der letzten These zu. Die Haltung der Frauen und der Männer zu den Gefahren im Verkehr ist doch sehr unterschiedlich.
5. Hat die Angst vor dem Autofahren immer mit dem Autofahren selbst zu tun? Oder können Panikattacken auch einen Grund haben, der mit dem Fahren selbst nichts zu tun hat?
Gründe für Angst und Panikattacken
Zwei gute Fragen. Ich würde sie so beantworten: Die Betroffenen bringen die Angst mit und vergrößern sie beim Autofahren. Das Autofahren selbst ist eigentlich nicht so gefährlich, wie die Angsthäsinnen empfinden: Wenn man die Regeln der StVO beachtet und sich der Gefahren bewusst ist. Die Angst vor Panikattacken auf der Autobahn entsteht wahrscheinlich durch übertriebene Reaktion auf mittelheftige körperliche Symptome, hat eigentlich wenig mit dem Autofahren zu tun. Sehr wohl aber mit der Autobahn.
Ich schreibe kurz ein paar erklärende Worte zu den Panikattacken. Ein Großteil der Betroffenen, die sich bei mir melden, leidet an Angst im Großstadtverkehr (mehr als die Hälfte). Die weitere knappe Hälfte verteilt sich auf ängstliche Prüflinge (die betreut mein Kollege C. Özdal von der Fahrschule Glowalla) und auf Betroffene mit Angst vor Panikattacken auf der Autobahn.
Bei Angst vor Panikattacken auf der Autobahn droht den Betroffenen ein heftiger Ausbruch körperlicher Symptome: Herzrasen, keuchender Atem,, Schwitzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen. Im Gefolge dieser blockierenden Symptome kann es – so die weitere Furcht – zu erheblichem Fehlverhalten und womöglich zu einem Unfall kommen. Das ist eine schon keine milde Angst mehr, sondern eine Angststörung, bei der ich immer auch den Besuch beim Therapeuten empfehle. Den konfrontativen Teil, die praktische Auseinandersetzung mit der Angst auslösenden Situation auf der Autobahn kann ich dann übernehmen.
Panikattacken entstehen wahrscheinlich durch falsche und Überinterpretation harmloser, körperlicher Ereignisse – auf der Autobahn: Ein bisschen Herzklopfen, leichtes Schwitzen, Verkrampfung, Tunnelblick, momentaner Konzentrationsverlust. Diese können ausgelöst werden durch äußerliche Ereignisse (ein Windstoß in der Kurve, hohe Geschwindigkeit, Gefälle), oder innere Ereignisse (Grübeleien wegen Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie). Anschließend geraten die Betroffenen in den berüchtigten Teufelskreis der Angst. Sie lauern ängstlich auf weitere Panikanzeichen: Herzschlag, heftiges Atmen, die sich dann auch schon einstellen. Und prompt erscheinen die Panikanzeichen, dieses Mal aber in heftiger Form, als Panikattacke!
Nun kommt ein wichtiger Punkt: Die Autobahn gilt eigentlich von ihrer Bauform her als die sicherste Straße. Für die Betroffenen ist sie dagegen ein gefährlicher Ort. Auf jeder anderen Straße wären solche Panikereignisse zu bewältigen, überall würde sich zur Not ein Plätzchen zum Anhalten und Beruhigen finden. Nicht jedoch so ohne weiteres auf der Autobahn. Stellen wir uns vor, auf der Autobahn droht eine Panikattacke, heftige körperlich Symptome treten auf, die die Fahrfähigkeiten blockieren. Ausgerechnet jetzt dürfen die Betroffenen nicht anhalten, sich nicht erholen, denn sie fahren ja auf einer Straße, der Autobahn, die fürs Schnellfahren gedacht ist. Sie müssen weiter fahren mit Tempo, können eigentlich nirgendwo anhalten, keine Ruhepause einlegen, bis endlich eine Ausfahrt kommt. Jedenfalls ist ersichtlich, warum gerade auf der Autobahn die Angst vor Panikattacken droht, nicht im Stadtverkehr. Die Betroffenen fahren eigentlich super Auto, kommen oft mit dem eigenen Auto zu mir. Im Stadtverkehr fühlen sich wohl. Auf der Autobahn aber würde ihnen die Vollkatastrophe drohen.
Diese Angst, da haben Sie recht, hat von ihrem Ursprung her mit dem Autofahren eigentlich nichts zu tun. Sie wird ausgelöst durch die Angst vor weiteren Panikattacken und verschärft durch den Zwang, auf der Autobahn schnell fahren zu müssen. Dadurch steigt natürlich bei den Betroffenen die Angst vor einem Unfall. Sie meiden daher die Autobahn, verständlich und irgendwie doch auch verantwortungsvoll.
Das erste, was ich mit den Betroffenen übe, sind Rettungsmaßnahmen auf der Autobahn, falls eine Panikattacke droht, und Hilfen zur Milderung der überbordenden Nervosität.
6. Haben Sie konkrete Tipps für Fahrer*innen, die erste Anzeichen für eine Fahrangst bemerken? Was wären erste Maßnahmen, die man eigenständig ergreifen kann?
Fahrängste können schwerwiegende Folgen haben
Fahrängste können zu hoher Nervosität und zu schwerwiegenden körperlichen Reaktionen führen, letztlich zum Verlust der Kontrolle. Beim Rückwärtsfahren könnte es beispielsweise zu Verkrampfung, Hektik und Konzentrationsverlust kommen, Folge wäre womöglich die Verwechselung von Gas und Bremse und ein böser Unfall. Ich würde bei Fahrangst immer zuerst Rettungsmaßnahmen empfehlen – so wie schon vorher bei einem Blackout geschildert: Bewusst ruhig atmen, laut sprechen, nicht weiter fahren, Handbremse ziehen, Motor aus, Pause machen und kurze Erholung suchen. Ich würde nach einem solchen Vorfall auch nicht allein weiter fahren, sondern mir professionelle Hilfe zur Bewältigung der Fahrangst suchen. Leider sind die meisten Fahrlehrer nicht dazu in der Lage.
7. Was würden Sie vor allem jungen Fahrer*innen empfehlen, um gar nicht erst in eine Angstspirale beim Autofahren hinein zu geraten?
Vernünftiges Nachdenken. Grübelstopp
Keine Angst vor der Angst, denn die Angst hilft uns ja vor Gefahren. Wenn wir die Angst als Grundgefühl nicht hätten, wäre die Menschheit wahrscheinlich ausgestorben. Gerade Fahranfänger/innen, die zu Beginn oft noch so unsicher sind, sollten ruhig auf ihre Angst hören, beispielsweise vor dem Überholen, bei nächtlichen Fahrten, bei Fahrten mit mehreren Beifahrern, denen es zu langsam geht. Ansonsten geht es hier ja um übermäßige, blockierende Angst, die sich leider manchmal schnell aufschaukeln kann – angesichts von eher harmlosen Situationen. Mit dieser Angst sollte man schon umgehen können.
Viele Betroffene neigen dazu, wenn ein Fehler passiert ist, stundenlang, sogar tagelang nachzugrübeln, sich Vorwürfe zu machen und die Zukunft schwarz zu malen. Jemand hat beispielsweise beim Fahrstreifenwechsel flüchtig geschaut, beinahe einen überholenden Pkw im sog. Toten Winkel übersehen. Der Fahrer hupt. Sie sind erschrocken. Es ist richtig, jetzt eine Pause einzulegen und die Sache mit Vernunft in Ruhe durchzugehen. Seien Sie nicht wütend auf den Fahrer, weil er gehupt hat, bedanken Sie sich innerlich bei ihm. Durch das Hupen wurde vielleicht ein Unfall vermieden. Nehmen Sie sich vor, zukünftig wieder korrekt zu schauen. Und üben Sie das bei weiterer Fahrt. Falls sie damit in der allgemeinen Hektik nicht zurecht kommen – üben Sie ganz bewusst, ein bisschen vorsichtiger zu fahren. Auch, wenn Sie andere damit etwas behindern. Freuen Sie sich über Ihre bessere Sicherheit. Ok.
Dann muss aber auch Schluss sein mit dem Gegrübel. Wenn Sie sich dabei erwischen, sagen Sie energisch „Stopp!“ und versuchen Sie daran zu denken, dass Sie inzwischen dazu gelernt haben. Sie können sich auch an etwas Schönes erinnern, irgend einen glücklichen Moment, den Sie noch im Gedächtnis haben. Dieses Glücksmoment sollten Sie dann schon parat haben. Einen Kuss mit Ihrem Partner, ein belebendes Ereignis beim Sport, ein nettes Gespräch mit Kollegen. Es gibt so viele schöne Dinge, an die zu denken sich wirklich lohnt, ganz im Gegensatz zu dem zerstörerischen Grübeln. Freuen Sie sich vor allem darüber, dass Sie nun nach Ihren kleinen Übungen mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein haben.
8. Welche Veränderungen würden Sie sich von Fahrschulen wünschen, um besser auf die Probleme von Fahrschüler*innen mit Fahrangst einzugehen?
Reform der Fahrlehrerausbildung
Ich habe jahrelang in der Fortbildung als Dozent Fahrlehrer/innen unterrichtet, über das hier angesprochene Thema „Bewältigung von Angst hinterm Steuer“. Es ging dabei hoch her, es wurde viel diskutiert, aber auch gestritten. Für die Teilnehmer/innen stand natürlich der Umgang mit der Prüfungsangst im Fokus. Die Jüngeren, so war mein Eindruck, hatten oft großes Interesse an dem für sie neuartigen Stoff und wollten gerne etwas mitnehmen für ihre ängstlichen Prüflinge. Die Älteren verhielten sich eher ablehnend. Ihre Meinung war, als Fahrlehrer hätten sie mit den geschilderten psychischen Problemen nichts zu tun. Ihre Aufgabe sei, das Verhalten an Kreuzungen zu unterrichten. Diese Auffassung widerspricht leider den Ausbildungsvorschriften, denn diese Probleme sollten wenigstens im Theorieunterricht behandelt werden. (Anmerkung: Grundstoff Nr. 2, unter der etwas unglücklichen Bezeichnung „Faktor Mensch“).
Was sich meiner Ansicht nach passieren sollte, wäre eine Reform der Fahrlehrerausbildung. Dort müssten auch Randgebiete zusätzlich zur Fahrschülerausbildung behandelt werden. Als Beispiele nenne ich – neben den hier erwähnten Problemen mit Fahrangst – die Hilfen für ältere Kraftfahrer oder für Menschen mit Behinderungen. Dafür sollte sich der Fahrlehrerverband einsetzen.
9. Wie bereiten Sie Ihre Angsthäsinnen auf das von diesen ersehnte Ziel vor, dass sie allein hinterm Steuer, ruhig und sicher am Straßenverkehr teilnehmen? [diese Frage ist von mir eingefügt, denn sie ist so wichtig]
Dritte Programmstufe – selbständiges Fahren
Die Betreuung der Betroffenen mit Fahrangst darf nicht bei Fahrten im
Fahrschulwagen enden. Das wäre sonst ein große Illusion aller Beteiligten, als ob so der große Sprung in das eigenverantwortliche Fahren allein hinterm Steuer gelingen könnte. Wenn wir im Fahrschulwagen fahren, stellt sich schnell eine kuschelige, behütete Atmosphäre ein. Realitätsnähe und Verantwortlichkeit sehen anders aus.
Ich biete daher drei Programmteile an:
1. Vorbereitung, Angsthasentreffen
2. Betreuungsfahrten im Fahrschul-Pkw und schließlich
3. Begleitung bei Fahrten im eigenen oder im Fremd-Pkw. Dabei greifen die Betroffenen gerne auf carsharing zurück. Beim letzten Programmpunkt, dem selbständigen Fahren, bin ich nur noch Begleiter, darf zwar raten, aber nicht mehr eingreifen. Zu Beginn fahre ich noch vorne rechts mit, später auf der Rückbank rechts hinten. Der letzte Schritt bei diesem Programmpunkt wären dann Fahrten ganz allein, auf „Lieblingsstrecken“, die wir vorher schon eingehend geübt haben. Bei allen Fahrten auf dieser Programmstufe sollten die Betroffenen weiter den Umgang mit Angst und Nervosität üben, den Sie schon vorher kennen gelernt haben.
Der 3. Programmpunkt des selbständigen Fahrens weckt viele Ängste, aber er fördert auch gewaltig das Selbstbewusstsein. Schön ist es dann, wenn ich nach Ende der Betreuung Berichte der Betroffenen von weiteren Fahrten erhalte. Natürlich fahren sie zuerst in Berlin und ins Umland. Später werden sie mutiger, dann geht es beispielsweise an die Ostsee, nach Dresden, ins Erzgebirge. Oder sogar nach Italien oder in die Pyrenäen.
Frank Müller
Anmerkung: Inzwischen hat P. Dorn weiter recherchiert und seinen Artikel über Fahrangst veröffentlicht. Sie finden seinen Artikel unter folgendem Link:
https://www.vehiculum.de/magazin/ratgeber/angst-vorm-autofahren
Unter https://www.vehiculum.de/magazin können Sie sich außerdem einen Überblick über das Magazin verschaffen.
Danke für den interessanten Beitrag. Die Fahrlehrer können auf alle Fälle durch die richtigen Handlungsweisen die Angst vorm Autofahren minimieren. Es ist sehr wichtig, dass auf die Angst-Schüler entsprechend eingegangen wird.